Meine Houston-Reise mit der Band PHIL
Samstag, 11. Dezember 2021

Die Nacht auf Samstag war wieder vom Jet-Effekt dominiert. Um 3 Uhr aufgewacht und innerlich auf Vormittag eingestellt. Ich hoffe, dass ich zum Konzert am Abend nicht zu müde werde. Erfahrungsgemäß wirkt dem aber der mit solchen Konzerten einhergehende Endophin- und Adrenalin-Ausstoß entgegen. Wir werden sehen.

In der Zusammenstellung des US-Amerikanischen Frühstücks bin ich heute schon etwas routinierter 🙂 Wenn man sich von heimischen Gewohnheiten verabschiedet und einen großen Bogen um alles macht, was nach Brot aussieht, kann man durchaus seine Geschmäcker finden. Die Auswahl an Obst ist zum Beispiel richtig gut. Ebenso das gebratene Gemüse. In einer Nische des Frühstücksaals stellt Señora Rodriguez* gekonnt ihre Rührei-Variationen zusammen. Der Frühstücker hat die Wahl zwischen allerlei Beigaben wie zum Beispiel Basilikum, Tomaten, Pilzen, Zwiebeln oder Bacon. „Good morning, howa‘ youuuu?“ schallt es aus dem Mund der sympathischen Dame. „Thank you, l’m great …“ gebe ich gewissenhaft zurück „… and how are you?“. Die Antwort kommt fast vor der Frage und lautet erwartungsgemäß „I’m fine too“. Naja denke ich, wenn Señora „fine“ ist, dürfte es das Rührei ja auch sein. Ich lasse mir ein Exemplar mit Pilzen und Basilikum bauen, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Das Gebäck wird mehrfach aus der Pfanne in die Luft gewirbelt und zum Abschluss auf die Hälfte zusammengeklappt. Zuvor wird aber noch eine ordentliche Portion geriebener Käse in die Falte gegeben. Überhaupt haben unsere amerikanischen Freunde große Sympathien zu allem, was die Vitamine F, E, T und T beinhaltet. Eine komplette Tischreihe ist gesäumt mit Wärmebehältern, jeweils in der Größe eines europäischen Kleinwagens, die bis zum Rand mit Rührei, Bacon, Kartoffeln und Würsten munitioniert sind. Ich hoffe nur, mein VW Up! steht noch zuhause unter der Straßenlaterne.

* Name von der Redaktion geändert

In the ballroom

Nach dem Frühstück werden der geplante Tagesablaufs und das Set besprochen. Das heißt, Jürgen the Phil schwört die Mannschaft ein – in der überzeugenden Rolle des Coaches und Motivators. Jürgen ist zumindest aus meiner Sicht unbestritten und aus gutem Grund der Kopf der Band. Da Blackberry Smoke den Saal bis 15 Uhr für Aufbau und Soundcheck in Anspruch nehmen werden, bleiben für unseren Aufbau, Instrumenten- und Soundcheck voraussichtlich  maximal zweieinhalb Stunden. Wir sollen uns auf 14:30 Uhr bereit halten, um sofort einzusteigen, sobald die Bühne frei ist. In Anbetracht früherer Ankündigungen wird dieser Zeitplan nicht unbedingt mit Begeisterung aufgenommen. Ursprünglich wurde uns mehr Zeit und Raum zugesagt. Kleinere Teile des Equipments fehlen ebenfalls noch, aber eine erfahrene Band und ein routiniertes Clap-Mitglied lassen sich durch diese dynamischen Entwicklungen (zunächst) nicht beunruhigen. Wir haben ja alle unsere Lehrzeiten in Schüler-Bands absolviert.

Wir werden im großen Ballsaal des Hilton Houston North spielen, der für etwa 800 Personen ausgelegt ist. Hier, wie schon tags zuvor, ameisenhaftes Gewusel in allen Ecken. Ich hege zu diesem Zeitpunkt jedenfalls noch die Vermutung, dass es ameisenhaft ist. Im Nachhinein musste ich diese Annahme jedoch revidieren, weil Ameisen etwas systematischer arbeiten. Die Instrumente von Blackberry stehen bereits zum Großteil. Mein Pendant bedient eine Tastenburg nach dem Muster klassischer Rock-Keyboard-Götter der 1970er wie Rick Wakeman von Yes, Jon Lord von Deep Purple oder meinem absent Klavierlehrer Tony Banks von Genesis: Da stehen unter anderem eine Hammond B3 (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Straße), ein Hohner Clavinet D6 (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Vitamin) und ein Wurlitzer E-Piano (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Zigarette). Das Zeug klingt saumässig gut, aber ich wollte es nicht transportieren müssen.

Gitarrist Alex testet seine geliehene Ausrüstung: Eine Fender Strat und ein für mich undurchschaubares Netzwerk an fussgeschalteten Effekten wie Chorus, Flanger oder Kompressoren, die in ähnlicher Kombination auch Genesis und Collins Live-Gitarrist Daryl Stuermer bedient, der im Übrigen an einem 27.  November geboren ist und damit seinen Geburtstag mit weiteren Musiklegenden wie beispielsweise Jimmy Hendrix feiert. Alex ist auf den ersten Blick recht zufrieden mit dem Gerätepark, der ihm zur Verfügung gestellt wurde. Schlagzeuger Bernd nimmt mit seinem Betreuer Michael ein letztes Finetuning an seinem Drumset vor. Michael ist ein unheimlich netter und hilfsbereiter Typ, der auch am Abend ständig in der Nähe des Bühnenrandes und damit von Bernd bleibt. Mein Neid sei ihm gewiss. Meine Keyboards hatte ich jeweils schon gestern getestet. Die komplette Kombi aus Synthies, Ständer und Mischpult werde ich erst zum Soundcheck aufbauen können. Ich verziehe mich ins Hotelzimmer und gehe die Songs anhand meiner Spotify Playlist und meinen Akkord-Skripten nochmals im Kopf durch. So scheint sich also das einsame Leben auf Tour anzufühlen, über das so viele Rockstars nach einiger Zeit der Popularität oftmals klagen. 🥳

The big humm – Das grosse Brummen

Gegen 14:30 Uhr gehe ich runter zum Saal. Es war zwar irgendwie zu erwarten, dass wir jetzt noch nicht zum Aufbauen kommen. Allerdings sind die Nachrichten von Julian, dem Mischer nicht gerade ermutigend. Es scheint Probleme mit der Stromversorgung im Saal zu geben. Die Gitarren-Verstärker der Kollegen von Blackberry Smoke brummen wie ein texanischer Pickup im Standgas.

Wir bekommen unseren Backstage-Raum gezeigt. Die Klimaanlage hatte ihren Dienst sehr ordentlich verrichtet. Der gut 50 qm große Saal bekommt von mir den Codenamen „Penguin Bay“. Eine Angestellte wird darauf hin gebeten, den Thermostat auf Temperaturen über dem Gefrierpunkt einzustellen. Dennoch wird es uns recht schnell wieder warm. John hat Geschenke dabei. Für jeden[n] gibt es einen hochwertigen Rucksack mit eingesticktem Band-Logo und ein Sweatshirt, ebenfalls mit Logo. Vielen Dank! Im großen Saal geht der Kampf gegen den Brummbären offenbar in die nächste Runde. Es zeichnet sich mehr und mehr eine Verzögerung im Zeitplan ab. Begeisterung löst die Nachricht bei uns nicht aus aber was bleibt uns übrig, als das Beste daraus zu machen? Wir bekommen ein nettes gemischtes Buffet und machen auch aus diesem das Beste.

Kurz nach 7 Uhr p.m. gehört uns endlich die Bühne. Wir bauen auf und werden dabei von unseren Betreuern und den anwesenden Technikern unterstützt. Der eine Musiker mehr, der andere weniger. In den Kompetenzfeldern Koordination, Effektivität, Effizienz und der Nutzung und Interpretation vorab bereitgestellter Dokumente haben einige der Beteiligten augenscheinlich noch ein paar Kubikmeter Luft nach oben.

Zum Abschluss ein kurzer Linecheck mit ‚No Son Of Mine‘ und der Bläsernummer ‚Something Happened On The Way To Heaven‘. Beide Songs werden wir nachher als Starter servieren. Der Bühnensound ist in ordentlichem Maße optimierungsbedürftig, aber dazu fehlt leider die Zeit. Der Saal wird für die bereits länger wartenden Gäste der Weihnachtsparty geöffnet. Das Konzert soll sogleich starten. Zackzack hoch zum Umziehen.

No Sound Of Mine

Zehn Minuten später treffen wir uns neben der Bühne. In offenbar traditionellen PHIL-Ritual schwört Jürgen the Phil die Band auf das folgende Konzert ein. Das wird anspruchsvoll, so viel ist sicher. Die Gegebenheiten liegen weitab unserer Komfortzone. Nach einer kurzen Ansage und dem PHIL-Trailer betrete ich als erster die Bühne. Frank, der Percussionist und Bernd an den Drums starten das Klick-Klack-Intro von ‚No Son Of Mine‘ und ich setze die Anfangsakkorde und den „Stiersound“, der so charakteristisch für NSOM ist. Los gehts! 🚂 Ich weiß nicht, wie das bei anderen Musikern ist. Bei mir sind diese ersten zwei bis drei Minuten bereits die Wettervorhersage für den Rest des Konzertes, was Konzentration, Spiel- und Fehlerfreude angeht. Für mich persönlich war die Wettervorhersage trotz der Umstände recht gut. Wenig innere Aufregung. Meine konsequente Vorbereitung gibt mir Spiel- und Selbstsicherheit. Kurzum: Läuft! Die Leute tauen recht schnell auf und schon bald säumen nicht wenige frischgebackene PHIL-Fans den Bühnenrand. Die Band ist nach über 20 Jahren ein eingespieltes Räderwerk. Jürgen ist eine routinierte Rampensau, die dem Original in dieser Hinsicht und auch stimmlich unheimlich nahe kommt. Da wird definitiv nichts anbrennen. Der Bühnensound ist allerdings eine echte Herausforderung. Ich muss ständig die beiden Synthies aufeinander abstimmen und dafür sorgen, dass ich mich gut genug höre, ohne die Bühne nochmals mit zusätzlichen Dezibel zu belasten. Die Monitorbox klingt dermaßen mittig und dumpf, als stünde sie im Wasser. Irgendwie habe ich dabei das Gefühl, dass der „Stiersound“ etwas dünn ist. Aber das Spiel macht dennoch unheimlich Laune, was man mir zwar nicht immer ansiehst aber auch in dieser Beziehung orientiere ich mich am Original, in diesem Fall an Tony Banks von Genesis.

Happy The Man
(Genesis 1972)

« Hello Houston! »

Es folgen ‚Something Happened On The Way To Heaven‘ und ‚Don‘t Lose My Number‘, die beide vom PHIL-Gebläse begleitet werden: Attila an der Posaune, Gabriel an der Trompete und Saxophonist Marco. Danach erste Ansage von Jürgen. Ich weiß, wie sehr er sich darauf gefreut hat, diesen einen Satz in die Welt zu rufen: „Hello Houston!“. Nach weiteren Worten geht es weiter mit ‚Against All Odds‘, was das Eis endgültig bricht. Die Nummer kennt und liebt wirklich jede[r]. Die Fankurve vor uns singt leidenschaftlich mit. Die zweite Strophe gehört Vanessa mit ihrer starken Alt-Stimme und als weitere Variante gegenüber dem Original spielt Marco ein obergeiles Saxophon-Solo. Während der Nummer stelle ich fest, dass sowohl Sustain- als auch das Schweller-Pedal nur bedingt zuverlässig funktionieren. Naja, auch das werde ich irgendwie gebacken bekommen. Der Song klingt aus und der neu gegründete Fanclub tobt. Ich kenne ja die Gepflogenheiten da drüben nicht so gut. Aber der Bezug zu Geld ist in den Staaten ja schon recht hoch. Ich hege insgeheim die Hoffnung, dass ab der nächsten Begeisterungsstufe Dollars auf die Bühne fliegen werden, um damit dem Equipment-Verleiher zum Beispiel die Anschaffung neuer Keyboard-Pedale zu ermöglichen.

Die Veranstaltung ist bereits weit über dem Zeitplan, weshalb wir damit beginnen (müssen) einige Songs zu überspringen. Wir machen weiter unter anderem mit ‚That‘s All‘ und ‚Another Day In Paradise‘, das ebenfalls wieder frenetisch mitgesungen wird. Mir ist danach allerdings fast schlecht. Mein Grundsound für diesen Song habe ich mit extremen Stereoeffekten belegt. Mein Monitor liefert mir aber nur einen Kanal, weshalb ich mein Spiel dadurch fast nur in ‚Halbwellen‘ wahrnehme. Aber auch die Nummer kommt draußen hervorragend an und darum geht es letztendlich. Zeitplan hin oder her. Was auf jeden Fall gespielt werden muss …? Genau: ‚In The Air Tonight‘. Darauf freue ich mich in dreierlei Hinsicht. Das Volk wird definitiv toben. Ich bin stolz auf den Sound, den ich auf meinem Yamaha S90es dafür programmiert habe und der sicherlich der authentischste Klon außerhalb der im Original eingesetzten Maschine, einem ‚Sequential Prophet 5’ ist. Nicht zuletzt habe ich das Live-Intro etwas abgewandelt. Dort findet sich neben der Vorlage aus der Collins-Tour von 2003 ein Zitat aus meinem Mostly Harvest Song ‚Years Apart‘. Damit wurde auch dieser [Song] einmal in den USA gespielt 🙂 Hähä. Die Collins-Legende läuft an und erwartungsgemäß sind die Leute spätestens beim Drum-Einsatz aus dem Häuschen. Ich konzentriere mich akustisch zwar weitgehend auf meinen eigenen Part aber ich bin mir sehr sicher, dass wir diesen Hit nahezu perfekt an der Rampe abgeliefert haben.

Zum Abschluss nochmals eine Bläsernummer: ‚Easy Lover‘. Beim Intro verhasple ich mich kurz, aber einmal ist keinmal 🙂 Ich liebe den Groove und die ‘Glockensequenz‘, die ich jeweils vor dem Refrain und am Schluss spielen darf. Den zweistimmige Duett- und Solopart, der im Original Co-Komponist Phil Bailey mitsingt, übernimmt bei PHIL Sängerin Simone souverän und sehr zur Freude der Amerikaner. Das Stück war schließlich eine europäisch-amerikanische Co-Produktion und damals auch in den Staaten weit oben in den Charts. Mit einem fröhlich gespielten Em-Akkord endet unser Konzert und mein erster Auftritt auf dem amerikanischen Kontinent. Nach vorne, Verbeugung, Siebensachen gepackt und raus. Im Nebenbereich der Bühne erstes Durchschnaufen. Es zischt in den Öhrchen. Ja, auf dieser Bühne gab es einige vagabundierende Schallwellen. Ich unterhalte mich kurz mit Bernd und mache mich auf den Weg in das große Hotel-Foyer, wo es deutlich ruhiger ist und in dem ebenfalls ein Teil der Party steigt.

Ruhe mit Michelob Ultra

Wie nach jedem meiner Auftritte zieht es mich erst einmal zur Ruhe. Ich lege mich in einen der großen Sessel und strecke alle Viere von mir. Das Entspannungsmoment entspricht etwa dem einer dreistündigen Yoga-Einheit. Fast gleichzeitig melden sich in meinem Großhirn zwei Vokabeln: „Ein. Bier.“!

Ich hole mir ein recht gutes Ami-Bierchen „Michelob Ultra“. Kurz darauf gabelt mich Frank auf. Wir haben im großen Saal einen Tisch zugewiesen bekommen. Ich folge ihm, muss aber spätestens am Tisch feststellen, dass meine Ohren damit nicht klar kommen werden. Der Tisch steht recht weit vorne und direkt in der Einflugschneise der linken PA-Box. Das kann ich meinen Hörorganen heute nicht mehr zumuten. Ich melde mich ab und gehe zurück ins Foyer, wo ich mir ein zweites Ultra gönne. Beim Anstehen am Bier werde ich von einer jungen Dame als Musician from Europe erkannt. Das ist natürlich sehr schmeichelhaft und das anschließende Gespräch recht nett. Allerdings ist es auch an dieser Stelle relativ laut und es ist eine große Herausforderung, mein Gegenüber zu verstehen. Nach ein, zwei weiteren Smalltalks setze ich mich nochmal in die Lounge.

Von meinem Platz kann man recht gut das Geschehen und die Festgäste beobachten. Ja, das ist schon eine andere Welt. Das Publikum, dessen Kleidung und teilweise auch das Auftreten erinnert mich zum Teil an die traditionellen Februar-Wochenenden in meiner südbadischen Heimat. Hmmm, sollte ich vielleicht mal probieren, ganz laut „Narri …“ oder „Hellau …“ in die Runde zu rufen? Ich lasse das zum Glück bleiben, denn relativ schnell machen sich die Jetlag-Nächte und die Tatsache bemerkbar, dass ich seit Wochen so gut wie keinen Alkohol trinke. Todmüde lege ich mich gegen halb Zwölf in die Koje, wo ich blitzschnell einschlafe. What a night, tonight, good night.