Meine Houston-Reise mit der Band PHIL
Freitag, 10. Dezember 2021

Breakfast in America …

… ist zwar weder von Phil Collins noch von Genesis, passt aber ganz gut. ‚A Legal Alien‘ wäre als Abwandlung zu Illegal Alien noch eine Alternative.

Die Nacht war – naja – ‚originell‘. Um 3 Uhr Ortszeit aufgewacht. Meine innere Uhr ist auf 10 Uhr getrimmt. Jetlag! Irgendwann wieder eingeschlafen und nach dem Duschen unter dem obligatorischen Chlorwasser um 9 Uhr zum Breakfast in America. Der Kaffee, das XXXXL Rührei und das Obst waren eigentlich ganz OK. Aber die Backwaren!? Die armen Weizenkörner! Wenn die Hoteliers gewusst hätten, dass mein Opa Bäcker war, hätten sie sich heute sicher ein bisschen mehr angestrengt.

Originell ist auch der Toaster. Dieser scheint bereits im amerikanischen Bürgerkrieg seine Dienste verrichtet zu haben. Tatsächlich glaube ich, auf der Rückseite den mechanischen Anschluss für ein Hamsterrad entdeckt zu haben. Damals gab es ja noch keinen elektrischen Strom aus der Steckdose. Möglicherweise hat ihn aber auch Rod Taylor bei den Dreharbeiten zum 1960er Science-Fiction „Die Zeitmaschine“ aus derselbigen geschmissen, als er durch das Jahr 2021 gedüst ist, weil die Morlocks partout nur am Fleischverzehr interessiert waren.

Luxuriös ist allerdings der Umstand, dass sich die Konzert-Location in unserem Hotel befindet. Ein bisschen Dekandenz darf ja mal sein, wir sind ja schließlich nur Economy Class geflogen 🙂 Im Ballsaal laufen bereits seit gestern die Vorbereitungen. Die Bühne wird aufgebaut, die Technik wird vorbereitet. Wir lernen einige Leute kennen. Irgendwann habe auch ich mich an dieses allgegenwärtige „Hi, how are youuuu?“ gewöhnt. Unwahreitsgemäss antworte ich stets mit „Oh, I‘m great!“ oder „Thanks, I‘m so what from fine“. Ich hoffe, dass das Fegerfeuer-Register für diese maßlose Lügerei nicht allzuviel Überstunden vorsieht.

Nach meinem ersten Breakfast In America kommt zumindest für mich der spannendste Moment des Tages. Ich werde mit meinen Synthesizern bekannt gemacht. Aus nachvollziehbaren Gründen war es uns natürlich unmöglich, unsere eigene Ausrüstung mitzunehmen. Daher haben wir bereits vor einigen Wochen eine Liste unserer Instrumente und Geräte nach Texas gemailt, um diese von unseren Partnern vor Ort für unseren Auftritt auszuleihen. Für ein Mikrofon oder ein Schlagzeug ist diese Form des Beamens noch recht einfach. Im Falle der Keyboards ist die Sache etwas schwieriger, da ich vor Ort die identischen Zwillinge meiner Synthesizer benötige – zumindest im Falle meines Hauptinstrumentes, einem im Jahr 2005 zuletzt produzierten Yamaha S90es. Für diesen habe ich die sehr typischen Genesis- und Collins-Sounds programmiert, wie zum Beispiel Orgel-, Streicher- oder E-Piano-Sounds. Diese können dann per USB-Stick von einem Gerät auf dessen Pendant übertragen werden. Generell ist es ist mir sehr wichtig, möglichst originalgetreue Sounds zu reproduzieren. PHIL lebt von der unheimlich authentischen Stimme von Jürgen Mayer. Diese Lieder dann mit irgendwelchen Standard-Sounds zu spielen, wäre ein absolutes NoGo. Die in den USA bereitgestellten Synthies müssen daher zu 100% diejenigen Modelle sein, die ich auch zuhause verwende.

Erleichterung, was den Yamaha angeht. Die auf 110 V und 60 Hz getrimmte Kopie meines S90es ist da. Das Teil ist zwar dreckig, wie ein texanischer Mähdrescher im Oktober, aber die Sounds sind drin. Uffffffff …! Für mein oberes Manual, einem Nord Stage 2 EX läuft es allerdings nicht ganz so rund. Dazu wurde kein Zwilling, sondern ein einfaches Geschwisterchen geliefert. Die roten Teufelchen sind sich zwar sehr ähnlich, aber inkompatibel, was die Sounds angeht. Zum Glück geht es im Falle des Nord Stage um ein paar wenige Sounds. Ich schnappe mir das Teil, bewege es in mein Hotelzimmer und bringe ihm dort die Flötentöne bei.

Am Nachmittag machen wir uns auf den Weg zur Woodlands Mall, einer Shopping Mall im äußersten Norden Houstons. Jürgen organisiert zwei Miet-Gespanne bei ‚Uber‘. Wir fahren die rund 20 Minuten auf einem extrabreiten 5-spurigen Highway (5 Spuren pro Seite wohlgemerkt), der beiderseits gesäumt ist von Tankstellen, Einzelhandel, Fast-Food-Kneipen und Autohändlern. Der zum Teil recht dichte Verkehr fließt erstaunlich gut und zügig. Dabei begegnen wir überwiegend den landestypischen Pickups mit Ladeflächen, die bei uns durchaus als Swimmingpools verkauft werden könnten. Wir überholen ein weiteres Exemplar mit offenem Anhänger dahinter, auf dem der Gerätepark eines mittleren Bauhofs transportiert wird.

Am Eingang der Woodlands Mall angekommen nehme ich mit Erleichterung ein Hinweisschild wahr: FIREARMS ARE PROHIBITED (Feuerwaffen sind verboten). Sehr beruhigend. 😵‍💫 Wir betreten den Einkaufstempel und treffen uns mit den anderen PHILs. Der Tempel erinnert sowohl auf den ersten, als auch auf den zweiten Blick stark an entsprechende Einkaufszentren in Europa. Ich entdecke einen T-Mobile-, einen Benetton- einen Apple-, Fossil- und einen Lego-Shop. Willkommen zuhause. Wir trennen uns und ich klappere mit Gitarrist Alex die Läden ab. Im ein oder anderen Shop werden wir fündig. Zum An- oder Abgewöhnen sind allerdings die Läden und Stände, die vermeintlich christliches Gut verkaufen: Von der very most kitschig Weihnachtskrippe der äußeren Milchstraße bis hin zu zwei coolen Missionaren, die offenbar seit Monaten darauf gewartet haben, dass Jürgen vorbei kommt, um ihnen zum Feierabend die vierte Strophe von ‚Jesus He Knows Me‘ zu trällern. Dieser (Jürgen, nicht Jesus) zog es jedoch zum Glück vor, mit dem Rest der Musiker einen Kaffee bei Starbucks zu schlürfen. 

Auch der Weg zurück ins Hotel wirkt vertraut. In einem Bayrischen Auto werden vier süddeutsche Musiker zur Musik einer Pforzheimer Band (‚Lemon Tree‘) von einer kroatischen Fahrerin zurück ins Hilton kutschiert.

Es würde mich nicht wundern, wenn wir an der Rezeption auf Kölsch begrüßt werden. Das passiert zwar nicht, aber zurück im Ballsaal lerne ich Julian kennen, der am Samstag Herr des Mischpults sein wird. Und siehe da: Julian spricht fließend Deutsch. Halleluja! Jesus, he knows us offenbar ganz gut. Es ist unheimlich hilfreich, dass diese wichtige Position von jemanden besetzt ist, mit dem wir uns ungefiltert verstehen und verständigen können.

Das Abendessen nehmen wir im Hotel-Restaurant ein. Zuvor stoßen noch vier Musikerinnen und Musiker zu uns, die am Vormittag in Frankfurt gestartet waren. Die Sängerinnen Vanessa und Simone, sowie Trompeter Gabriel und Posaunist Attila. Wir sind vollzählig, fit und bereit für das Konzert am nächsten Tag.